Eva Wolpers
Trophies 

Anlässlich der Ausstellungseröffnung „Trophies“ von Tim Bennett im Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld am 26.01.2018. Einführung von Eva Wolpers, Marta Herford. 

Liebe Frau Dr. Padberg, lieber Tim Bennett, sehr verehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass Tim mich gebeten hat, heute Abend mit ein paar Worten seine Ausstellung „Trophies“ zu eröffnen. Tim und ich kennen uns aus München, wo der Künstler seit über 15 Jahren lebt und arbeitet. Schon als ich Tim das erste Mal in seinem kleinen Atelier im Münchner Stadtteil Giesing besucht habe, war ich fasziniert von seinem Werk und seiner Person. Auch nach meinem Weggang aus Bayern, ans Marta Herford sind wir in Kontakt geblieben und ich finde es umso schöner, dass wir uns jetzt gerade hier im ZIF in Bielefeld wieder treffen. Wie mir Tim gestern Abend erzählt hat, sind seine britische Geburtsstadt Rochdale und Bielefeld Partnerstädte. Deshalb und auch wegen des Klimas hier würde er sich sehr heimisch fühlen. 

ZIF, das Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Uni Bielefeld bietet eine Plattform für die Begegnung zwischen Wissenschaft und Kunst, um den Blick über die Fachgrenzen hinaus anderen Disziplinen gegenüber zu öffnen. Wir stehen hier an einem Ort, an welchem Forschungsprojekte, die über den Tellerrand hinausschauen, gefördert werden. Mit dieser Idee tauchen wir auch schon mitten in Tim Bennetts Welt ein – einen Kosmos, in welchem er die Grenzen zwischen Bild und Objekt sowie zwischen Bild und Material einreist. Tim Bennetts künstlerisches Vorgehen hat viel Forschendes, Sammelndes und Experimentierendes. Er verbindet die Felder der Kunst, der Wissenschaft, der Geschichte und der Baustelle zu einer humorvollen leichtfüßigen Poetik. 

Wir stehen mitten in seiner Installation bestehend aus einer neuen Gruppe fünf farbiger Gipsskulpturen, ergänzt durch drei Wandarbeiten. Mit dem Titel „Trophies“, zu Deutsch „Trophäen“ lehnt sich Tim Bennett an das Bild eines klassischen Forschers oder Entdeckers an. Jemand, der, so stelle ich mir das immer vor, Fossilien oder Relikte anderer Kulturen, vielleicht auch mal die Beute einer Großwildjagd, als Trophäe mit nach Hause bringt, als Zeugnis des Anderen, des Fremden. 

Scheinbar zufällig im Raum verteilt stehen die monochromen Skulpturen, die an Säulenfragmente erinnern, oder gar an Kreaturen, wie versteinerte Medusen oder Kraken. Alles durchaus Objekte, die sich in Wunderkammern oder Sammlungen von Forschern und Entdeckern wiederfinden könnten. In Größe und Durchmesser verschieden scheinen sie in einer Bewegung im Raum erstarrt, instabil, schwankend, auf unterschiedlich vielen wackeligen Beinchen stehend, seltsam fehl am Platz und dennoch auf eine sonderbare Art und Weise über dem Geschehen thronend. Die umgedrehten Abbruchsäulen erwecken den Anschein, als habe der Künstler oder eine andere Kraft, das Material abgeschlagen, um das Innere der Säulen freizulegen. Zum Vorschein kommen, die in der Architektur normalerweise verbogenen Armierungseisen, die wie Wurzeln aus den Gebilden herauswachsen. Armierungseisen, die zur Bewehrung, sprich Verstärkung von Betonbauteilen benutzt werden. Das Wort Bewehrung bezieht sich auf das Wehrhafte, das Standhafte, ein Ritter bewehrte sich durch seine Rüstung. Die Rüstung gab dem verletzlichen Körper Halt und Schutz. In Bennetts Skulpturen tragen die Bewehrungseisen ganz im Gegenteil zu einer Instabilität und Schutzlosigkeit bei und sind ihrer Funktion somit völlig enthoben. Im Gegensatz zu ihren Geschwistern hier im Raum, können die Säulenskulpturen kein Gebäude stützen, keinen Halt, keine Verstärkung gewähren – denn nur mit Mühe halten sie sich selbst. Die Armierung, die alles im Inneren zusammenhält, ist freigelegt, sichtbar gemacht. Sie ist sozusagen das Skelett einer Architektur deren Korpus fehlt. Die Dysfunktionalität der Säule wird durch ihre Materialität noch unterstrichen. Das scheinbar Massive ist fragil, das Wehrhafte hilflos. 

Tim Bennett arbeitet mit profanem, reinem, ornamentfreiem Baumarktmaterial, wie Gips, Stahl, Beton, Marmor, Holz, Bronze oder Lack. Diese Funktions-Materialien werden durch handwerkliche Veredelung und Neukontextualisierung in künstlerische Bedeutungsräume gesetzt. Nicht nur das Material, sondern auch der Herstellungsprozess ist für Bennett von großer Bedeutung. Sowohl die Skulpturen als auch die Wandarbeiten sind überwiegend aus Gips gegossen. Gips, der seinen Aggregatzustand von flüssig zu fest ändert um dann völlig zu erstarren. Zeit, Geschwindigkeit, Spontanität sowie ein langwieriger Prozess und lange Trocknungsphasen schreiben sich in die Werke ein. Im einen Moment geht es um eine spontane künstlerische Geste, eine Eigenwilligkeit des Materials, im anderen um einen langwierigen, akribischen, handwerklichen Arbeitsprozess. 

Auch Tim Bennetts Wandarbeiten aus dem Jahr 2016 sind erstarrt im Entstehungsprozess. 

Bildträger ist eine mit Wandtapete bezogene Gipsplatte. Der Gips dringt von hinten durch Risse und Löcher, die der Künstler als Komposition anlegt, in den Bildraum ein, füllt diesen zum Teil aus und erstarrt in einem Moment zwischen Spur und Bild. Bennett inszeniert die Dynamik des Materials anstatt einer strengen Bildkomposition zu folgen. Er lässt dem Gips künstlerischem Freiraum, macht ihn zum Komplizen im Schaffensprozess. Als etwas dahinter Liegendes, eigentlich Verborgenes, bricht dieser aus dem Bild heraus und drängt dem Betrachter entgegen. Nicht umsonst heißt die Serie „Conspiracy Clouds“. Im Prozess der Entstehung schließt der flüssige Gips Materialien aus dem Atelier ein und erstarrt. Farbreste, Blätter, Äste, Streichhölzer oder sogar Insekten werden zu Fossilien der künstlerischen Tätigkeit, die auf nichts weiter verweisen als auf diesen einen Moment im Atelier Tim Bennetts. 

Einen schönen Vergleich finde ich an dieser Stelle die Tradition von englischen Parkanlagen. Als Teil der Komposition wurden Ruinen (Follies), in unterschiedlichen Phasen des Verfalls errichtet, um dem Ort einen Nachhall einer bedeutenden Geschichte zu verleihen, an die Vergänglichkeit des Menschen und seiner Werke zu erinnern und eine Metaebene zu geben. Oder als stimmungssteigerndes Element zu dienen sowie um beim Flaneur ein Gefühl der Erhabenheit und Macht zu wecken. Ruinen als Zeugnis des Reichtums, als Herrschaftsbeweis, als Relikt einer Kultur, als dass was vom Menschen übrigbleibt. Tim Bennetts Skulpturen funktionieren auf ganz ähnliche Weise. Hier handelt es sich weder um Ruinen, noch um Abbruchsäulen einer verlassenen Baustelle. Sondern wie in den englischen Landschaftsgärten um künstliche Ruinen, Kulissen, angefertigt als nichtfunktionierende Säulen, den Prozess des Verfalls mit bildhauerischen Mitteln nachgeahmt, ästhetisiert und darüber hinaus noch auf den Kopf gestellt. Zusätzlich sind die Säulen, was der Betrachter nicht ahnen kann, oben offen und innen nicht massiv. Also durch und durch ein Fake. Für den Künstler hat dies v.a. praktische Gründe, z.B. sitzt der Schwerpunkt der Skulpturen tiefer.

Worum handelt es sich also? Um eine Trophäe mit tiefem Schwerpunkt? Was sind Trophäen eigentlich? Trophäen sind Relikte oder Artefakte, Zeugnisse des Triumphs, die auf eine Geschichte verweisen, oder zur Demonstration von Wissen, Macht und Überlegenheit dienen. Sie sind Beweis weiter Reisen, großer Eroberungen oder wilder Jagden. All das sind Tim Bennetts Arbeiten nicht. Sie sind weder historisch aufgeladen, noch als Herrschaftsbeweis nutzbar. Sie sind vom Künstler gestaltete Objekte, die weder auf eine vergangene Ära, noch eine Hochkultur oder Eroberung verweisen. In ihrem Scheitern und ihrer Unvollendetheit zeugen sie von der Kraft Dinge zu schaffen, die Welt zu gestalten und über das Material hinaus, narrative Pfade zu legen. Damit ähneln sie den Fake Ruinen der englischen Parks. Sie bieten alternative Realitäten an, sind sozusagen Fake-Trophäen. Vor allem aber sind es Kunstwerke, geschaffen vom Tim Bennett, als originäre Objekte in die Welt gesetzt um etwas ganz Eigenständiges zu sein. Das unterscheidet sie maßgeblich von irgendeiner Ruine, egal ob diese nun künstlich oder echt ist. 

Am Ende jeder Forschung wie auch hier im ZIF steht die Frage nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, abseits von Gips und Armierungseisen. Das Streben nach einer allumfassenden Erkenntnis der Welt. Die Wissenschaft trägt ihren Teil dazu bei, indem sie vorhandene Phänomene untersucht. Die Kunst, bzw. Tim Bennetts Kunst schafft neue Dinge durch Experimentieren, Suchen und einem spielerischen Umgang mit Material und Assoziationen. Der Mut Neues und Anderes auszuprobieren, spielerisch zu forschen und der Methode der Suche einen Platz einzuräumen eröffnet ganz eigene Forschungsfelder und macht die Kunst auch für die Wissenschaft unersetzlich. Denn eine bedeutende Qualität von Kunst ist es dass sie sich frei bewegen kann, ohne Zwänge und Sinnstruktur. Deswegen ist es nicht nur ein Witz, sondern essentiell, wenn Tim Bennett sagt: „Kunst muss immer auch ein bisschen blöd sein.“ 

Eva Wolpers, 2018