Nicole Graner, Süddeutsche Zeitung
Das Leuchten der Lauchzwiebel

Vom Werden und Vergehen, vom Verborgenen und Sichtbaren: Tim Bennett installiert mit „Spring Again“ eine Skulptur in der Erlöserkirche, die gleichzeitig polarisiert und wunderbar die Fundamente des Glaubens berührt.

Nein, dieses Grün passt so gar nicht zu den farblich eher gedämpft gehaltenen Gemälden in der Apsis: so unnatürlich leuchtend. Ein Grün, das es nur manchmal gibt. Wenn es zum Beispiel in Norwegen geregnet hat, das schräg stehende Licht Wasser, Wald und Wiesen in eine Farbe taucht, als hätte ein Maler mit dicken Pinseln Acrylfarben über die Landschaft gelegt. Dann leuchtet das Grün so wie bei Tim Bennetts Skulptur, die derzeit im Altarraum der Schwabinger Erlöserkirche den Betrachter zum Nachdenken über das Werden und Vergehen, den Zauber des Neuen im Verborgenen inspiriert.

Diese sieben sechs Meter hohen, weißen Stangen, deren oberes Drittel eben in jenem Grün bemalt ist, das in kleinen Rinnsalen an ihnen herunterläuft, entspringen seltsamen, erdigen Knollen. Sie fallen ineinander, stehen schief. Würden sie nicht von Gurten gehalten, könnten sie wahrscheinlich nicht stehen. Womöglich. Denn ein bisschen sehen Stange und Knolle aus wie Stehaufmännchen, die sich immer – egal in welcher Position sie sich befinden – in aufrechte Lage bringen.

Nein, religiöse Motive kann man da nicht erkennen. Auf den ersten Blick. Mikadostangen? Spargelstangen ohne Spitzen? Lauchzwiebeln, sagt Bennett. Einst, so erzählt er, habe er Syrien bereist. Vor vielen Jahren, in denen noch kein Bürgerkrieg das Land erschütterte. In einer kleinen, unterirdischen Hauskirche, in der früher Christen beteten, entdeckte er alte Reliefs. Eines davon, so glaubt der 1973 in Rochdale (Großbritannien) geborene Künstler, habe ein Bündel Lauchzwiebeln gezeigt. Ein christliches Symbol dürfte dieses aus der Wand herausgehauene Motiv nicht sein, aber Zeugnis davon abgeben, dass die Menschen auf irgendeine Weise im Alltag mit der Pflanze zu tun hatten. Möglicherweise, glaubt Bennett, hat man dort Lauchzwiebeln angebaut. Egal, welche Interpretationsspielräume Bennetts Entdeckung in Syrien lässt, sie ist im Herzen des Künstlers geblieben, hat Wurzeln geschlagen.
Frühlingszwiebeln nennt man das Gewächs auch – und dann ist es plötzlich klar, warum Bennet seine Installation „Spring Again“ nennt. Und warum diese Skulptur so sehr in eine Kirche passt, und so sehr das Leben hinterfragt. Und auch auf den zweiten Blick sind jene Lauchzwiebeln Symbol. Nicht in Syrien, aber in Schwabing. Für das zunächst unerkannt neu Wachsende. Für das im Dunklen Keimende und dann zu Beginn des Jahres Sprießende. Und damit legt der in Deutschland lebende Künstler Assoziationen frei, die auf einmal religiös werden, ja, die Fundamente des Glaubens berühren: Die Hoffnung auf Auferstehung und – wirft man erneut einen Blick auf die Gurte – auf das Gehaltensein.

Das im Leben Versteckte, das Offenbare, das Echte und das Falsche – in diesen Kontext stellt Tim Bennett seine Arbeiten gerne. Es beschäftigt ihn, wie er sagt, mit dem nicht Planbaren zu spielen. Herauszufinden, ob sich Geometrie und Zufall ergänzen, ergänzen müssen. Schon während seines Studiums der Malerei und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München ging es ihm um die Neuerkundung von Räumen. Und das Ausloten von Dingen, die im Verborgenen wirken. Das Sichtbarmachen auf eine abstrakte oder auch minimalistische Weise, auch das gehört zu Bennetts Arbeiten. In „Spring Again“ kommt diese Auseinandersetzung erneut zum Ausdruck.
Löcher hat er im Garten der Erlöserkirche gegraben, sie dann ausgefüllt mit einer Mixtur aus Erde, zerbröseltem Styropor und Polyethylen-Schaum. Er hat die Stange hineingesetzt, sie mit Freunden solange gehalten, bis der künstliche Halm Stand bekam – um sie dann erneut aus dem Boden zu reißen. „Was passiert, wenn ich das tue, habe ich mich während des Arbeitsprozesses immer wieder gefragt“, sagt Bennett. Und er wollte wissen, ob die Stange auf der Kunst-Knolle stehen konnte. Allein. Sie konnte es nicht. Und so musste sie mit Gurten gehalten werden.

Ein Kraftakt muss dieses Herausreißen aus der Erde gewesen sein. So wie es ein Kraftakt ist, aufrecht durch das Leben zu gehen. Das Vergehen zu akzeptieren, das dennoch auch ein Werden impliziert. Denn aus den Horten der Lauchzwiebel entstehen neue. Leben, egal in welcher Form, schlummert doch schon längst in der Erde. Sieben Knollen hat Bennett gewählt. In sieben Tagen schuf Gott in der Schöpfungserzählung die Welt.

Polarisieren werde diese Skulptur, sagt Pfarrer Gerson Raabe. Das soll sie auch. Wer beschäftigt sich schon auf künstlerische Weise mit Lauchzwiebeln? Und wer stellt sie abstrakt einfach in einen Altarraum? Aber wie tröstend ist die Installation „Spring Again“! Denn der Kreislauf des Lebens findet in dieser Interpretation einen wunderbar christlichen Ansatz. Denn die Assoziation mit dem eingangs erwähnten Stehaufmännchen ist durchaus naheliegend: Leben wird beendet, die Knollen herausgerissen. Unter dem Schutz des Geistlichen werden sie neu verpflanzt. Neu verpflanzt, um lebendig zu bleiben und – wie die sich aneinander lehnenden Halme – gehalten zu sein: von der Kraft des Miteinanders und des Göttlichen.